Samstag, 18. Juni 2011

Vampire für Erwachsene: Anno Dracula

Vor kurzem bin ich über einen Artikel bei Wired gestolpert, bei dem es um Alternate-History-Literatur ging und bin so auf Anno Dracula von Kim Newman gestoßen. Also bei Amazon geordert, gelesen und für gut befunden.

Anno Dracula spielt im England des ausgehenden 19. Jahrhunderts, kurz nach der Ur-Dracula-Geschichte von Bram Stoker. Nur ging in dieser Welt die Geschichte anders aus: Dracula konnte eben nicht von Van Helsing besiegt werden, sondern blieb in England, erschuf immer mehr Vampire, wurde immer mächtiger und schaffte es irgendwann sogar Königin Victoria zu heiraten und zur Vampirin zu machen. Innerhalb von nur ein paar Jahren wurde England so zu einer Zwei-Rassen-Gesellschaft: Warme und Kalte.

Die Geschichte dreht sich hauptsächlich um die Jagd auf einen Vampir-Mörder, der in den Armenvierteln Londons sein Unwesen treibt. Ein Geheimbund, dessen höchstes Interesse da Wohlergehen des Empires ist, schickt seinen besten Agenten auf die Suche und stellt ihm eine fast 500 Jahre alte Vampirin zur Seite, die aus einem anderen Vampir-Geschlecht als Dracula stammt. Die organisierte Kriminalität ist durch die erhöhte Polizeipräsenz auf Londons Straßen in ihren Geschäften gestört und sucht ebenso nach dem Mörder.

Der wirkliche Star in diesem Buch ist aber die grausame Welt, in der die Protagonisten leben und handeln: Prostituierte bieten Bisse oder ganze Umwandlungen gegen wenig Geld an, Frauen verleihen ihre Kinder als Futterspender für Vampire, Vampir-Politiker überlegen Menschenfarmen einzurichten, um die Blutversorgung sicherzustellen. Die Elder, mehrere hundert Jahre alte Vampire, regieren in dieser Welt mit den Moralvorstellungen aus dem 15. Jahrhundert und der Überheblichkeit der schieren Unbesiegbarkeit. Menschen, vor allem Frauen, werden zu Jagdbeute, Gerichte gibt es praktisch keine mehr, Verdächtige werden an Ort und Stelle gepfählt.

Hinzu kommen zahlreiche Gastauftritte anderer realer und fiktiver Personen aus der Zeit: Oscar Wilde als Vampir, Dr. Jekyll forscht mit Dr. Moreau am Vampirismus und Sherlock Holmes ist im Konzentrationslager.

Wer also die Schnauze voll hat von den ganzen Teenie-Romanzen-Vampiren à la Twilight, der sollte sich Anno Dracula vornehmen. Es lohnt sich. Es macht Sinn, wenn man "Dracula" schon gelesen hat. Sollte das schon eine Weile her sein, hilft der oben verlinkte Wikipedia-Artikel das Gedächtnis aufzufrischen.


Die jetzt erschienene Neu-Auflage hat fast 200 Seiten Anhänge, in denen die Ursprünge der Charaktere erläutert werden und auch ein alternatives Ende hat es noch ins Buch geschafft.


Auf deutsch gibt es übrigens einen Sammelband mit den beiden Nachfolgeromanen unter dem besonders einfallsreichen Titel "Die Vampire".

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